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Freitag, 7. März 2003 Berlin, 03:14 Uhr

Die Gewalt beherrscht wieder Israels Straßen

In Haifa gedenkt man der Opfer des Terroranschlags - Mehrere Tote bei Vergeltungsaktionen der Armee

von Norbert Jessen

Angehörige tragen einen getöteten Palästinenser durch das Dschabalaia-Flüchtlingscamp in Gaza
Foto: dpa

Tel Aviv -- Schlägt der Terror zu, werden in Israel die Opfer gezählt. Danach wieder die Tage bis zum nächsten Anschlag. Und es werden die Geschichten erzählt - über die Toten. Wie das Leben sie schreibt. Mit Zufall und Gewalt.

Neun von den 16 Toten des Selbstmordattentats in der Buslinie 129 sind Heranwachsende und Kinder. Terror schlägt immer auf die Schwächsten und Naivsten ein. Auf Juden, Araber und Christen. Links und Rechts - im Bus unterscheidet das nur zwischen Sitzreihen. Dort sitzt, wer sich kein Auto und kein Taxi leisten kann. Im 129-er vor allem Schulkinder. Zurück lassen sie Erinnerungen an lächelnde Gesichter. Und eine große Leere, die mit Schmerz gefüllt wird.

Daniel Ben Harusch war erst 16 und trug schon Uniform. Ein fleißiger Schüler im Militärinternat in Haifa. Die Bombe hätte ihn zerfetzt, auch wenn er keine Uniform getragen hätte. Hätte er an der Klassenreise nach Auschwitz teilgenommen, wäre er am Mittwoch nicht früher als sonst in den Bus gestiegen. Er hat seine Eltern nicht einmal mit der Frage nach dem Geld für die Reise belasten wollen.

Die 12-jährige Kmara Abu Chamed fuhr nach Hause ins drusische Dorf Dalia auf dem Carmel. Ihre Familie ist eine der ärmsten im Dorf. Schon mit elf Jahren arbeitete sie als Babysitter für eine benachbarte Familie. Die sorgt dafür, dass das begabte Mädchen in Haifa auf eine gute Schule gehen kann.

Wie bunt das Leben in Haifa gemischt ist, zeigt die Liste der Toten. Die 14-jährige Abigail Leitel kam mit ihren Eltern vor zwölf Jahren nach Israel. Baptisten aus den USA. Frömmigkeit und Solidarität mit Israel zog sie ins Heilige Land.

Die Hafenstadt mit dem atemberaubenden Panorama aus Carmelberg, Bahai-Tempel und Bucht mit ihrer bunten Bevölkerungsmischung ist ein Stück Nahost wie er sein könnte und nicht ist. In dieser Stadt ist es kein Zufall: Alle getöteten Schüler nahmen an einem Schulprogramm teil, das jüdische und arabische Kinder zusammenführt. Jetzt gibt es ein anderes Programm. Die Stadtverwaltung stellt für jede Familie, die ein Kind verloren hat, zwei Sozialarbeiter bereit. Schulpsychologen sprechen wieder mit Kindern über Tod und Angst.

Auch die Opferstatistiken werden angepasst. Am Montag zeigte die Aufrechnung in Zahlen noch 78 getötete Palästinenser, darunter 25 Zivilisten. Und acht getötete israelische Soldaten. Jetzt verändern 13 israelische Zivilisten diese Aufrechnung. Und zwei Soldaten, die ebenfalls im Bus saßen. Der 21-jährige Barry Oved wollte seine Großmutter in Haifa besuchen.

21 Jahre alt war auch Machmud Amran Kawasme, der Terrormörder. Ein Student des Polytechnikums in Hebron. Er ist nicht aus einer der ärmsten Familien der Stadt, deren Stadtkern seit fast einem Jahr gesperrt ist. Aus der immer mehr Palästinenser ausziehen. In seiner Tasche fand sich ein Brief, der das Attentat in New York vom 11. September rühmt. Aber auch die Hamas-Bewegung, der Kawasme nahe stand, übernimmt nicht die Verantwortung für den Anschlag

In der Nacht nach dem Attentat rollen Panzer ins Flüchtlingslager Dschebalia bei Gaza ein. Israelis wie Palästinenser sprechen von einer "Vergeltungsaktion". Aber auch in den Nächten vor dem Anschlag kam es zu solchen Fahndungsaktionen. In Dschebalia wurden elf Palästinenser getötet. In El-Buredsch waren es acht.

©Copyright 2003, Die Welt (Germany)

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